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EuGH kassiert Erheblichkeitsschwelle bei Schadenersatz nach DSGVO

Seit dem Inkrafttreten der europäischen Datenschutzgrundverordnung im Jahr 2018 geht es bei einschlägigen Prozessen zum Thema stets auch um die Frage, inwieweit immaterielle Schäden wegen einer DSGVO-Datenschutzverletzung ersatzfähig sind. Viele Gerichte urteilten in den vergangenen Jahren, dass erst dann ein ersatzfähiger und bezifferbarer Schaden entsteht, wenn die betroffene Person einen spürbarer Nachteil erlitten hat, der über ein lediglich gefühltes Unbehagen deutlich hinausgeht.

Gesucht wurde dabei von allen Seiten nach einer „Erheblichkeitsschwelle“, welche den Unterschied zwischen zu ahndender und nicht justiziabler Datenschutzverletzung mit immateriellem Schaden ausmacht. Diese Auffassung hat der EuGH nun kassiert. Die Richter am der höchsten europäischen Instanz befanden, dass eine solche Erheblichkeitsschwelle nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist (EuGH, Urteil vom 14.12.2023, Az.: C‑456/22).

Unterschiedliche Ansichten zur Erheblichkeitsschwelle

Das Verfahren vor dem EuGH behandelte einen Rechtsstreit zwischen Einwohnern des deutschen Gemeindeverbandes Ummersdorf und ihrem Gemeinderat beziehungsweise dessen Führungsgremium. Teilweise gehörten die Kläger dem Gemeinderat an. Dieser hatte 2020 auf seiner Internetseite die Tagesordnung einer seiner Sitzungen und ein Urteil des VG Sigmaringen veröffentlicht.

In diesem Publikationen kam es zur Nennung verschiedener Klarnamen. Für die Nennung hatte der Gemeinderat die Zustimmung der betroffenen Personen nicht eingeholt. Letztere klagten nach fruchtloser Aufforderung des Entfernens ihrer Namen gegen die Publikation. Zunächst vor dem Amtsgericht und im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Ravensburg. Ihrer Ansicht nach handelte es sich um einen DSGVO-Verstoß. Daher verlangten sie für den erlittenen immaterieller Schaden Schadenersatz.

Der Gemeinderat vertrat hingegen die Ansicht, dass die Furcht vor einem Datenkontrollverlust a) unbegründet und b) auch als Schadensbild nicht ersatzfähig sei. Es müsse für einen Schadenersatz vielmehr ein spürbarer Nachteil nachgewiesen werden. Dieser könne nur entstehen, wenn persönlichkeitsbezogene Belangen objektiv nachvollziehbar und mit gewissem Gewicht beeinträchtigt worden seien. Dafür müsse eine gewisse Bagatellgrenze überschritten worden sein.

Da sich die Kontrahenten nicht einigen konnten, landete der Fall vor dem LG Ravensburg. Das LG sollte die streitentscheidende Frage der Bagatellgrenze oder Ergeblichkeitsschwelle für die Ersatzfähigkeit eines immateriellen Schadens beantworten. Wegen der widersprüchlichen Urteile der letzten Jahre zum Thema setzte das Landgericht dieses Verfahren aus. Es legte die prinzipielle Rechtsfrage nach einer solchen Erheblichkeitsschwelle bei immateriellen DSGVO-Schäden dem EuGH zur Entscheidung vor.

EuGH: Erheblichkeitsschwelle für Schadensersatz nicht erforderlich

Die Richter am EuGH urteilten, dass ein Anspruch auf Schadenersatz bei immateriellen DSGVO-Schäden nicht vom Erreichen einer Spürbarkeits- oder Erheblichkeitsschwelle abhänge. Im maßgeblichen Rechtsakt sei eine solche Schwelle nicht angelegt.

Der DSGVO-Erwägungsgrund 146 lege vielmehr ein weitgefasstes Verständnis zum Schadensbegriff zugrunde. Diesem Verständnis stehe eine Beschränkung durch ein Erheblichkeitskriterium diametral entgegen.

Ein weiteres Argument seien die nationale Spürbarkeitsschwellen, die in einzelnen Mitgliedsstaaten der Union zu unterschiedlichen Schadensdefinitionen führen. Diese Unterschiede würden das Unionsrecht in seiner praktischen Wirksamkeit behindern, wenn eine Erheblichkeitsschwelle für immateriellen Schadenersatz maßgeblich sei. Die DSGVO intendiere gegensätzlich dazu aber ein gleichmäßiges hohes Schutzniveau in der gesamten EU bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Daher könne jede Person Ersatz für den immateriellen Schaden durch einen DSGVO-Verstoß verlangen.

Dipl. Jurist, Rechtsanwalt Björn Wrase

Dipl. Jurist, Rechtsanwalt Björn Wrase

Hochspezialisiert im gewerblichen Rechtsschutz. Anwalt für Urheberrecht, AI/KI- & IT-Recht, Medienrecht, Wettbewerbs- und Markenrecht sowie Datenschutz.Autorenbeiträge anzeigen